Gundara – die andere Ledertasche | Glocalist | 11.10.2010

Mein Freund Jean Amat Amoros und ich (Gunda Wiegmann) haben die Firma Gundara im Mai 2009 gegründet. Zwar ist Jean Geograf und ich bin Politologin, aber wir haben uns schon immer für Kreatives interessiert und wollten gerne aus eigener Kraft etwas auf die Beine stellen.
Wir entwerfen Ledertaschen, die wir in Kabul (Afghanistan) produzieren lassen und dann europaweit online auf faire Weise vermarkten.
Als Jean und ich im Frühjahr 2006 auf die kleine Manufaktur von Herrn Yaqub im Zentrum Kabuls stießen, war dort nicht viel los. Zunächst fing ich an für mich selbst Taschen zu entwerfen und diese bei Herrn Yaqub zu bestellen. Jean hatte dann im Januar 2009 die Idee, dass man aus diesen bereits existierenden Taschenmodellen einen kleinen Bestellkatalog machen könnte, um die Taschen zunächst in Kabul besser zu vermarkten. Diese Idee spannen wir dann immer weiter und Jean hatte dann im Frühsommer 2009 die Idee den Gundara-Online-Shop (gundara.com) zu eröffnen. Das Wort Gundara ist eine Eigenkreation. Es erinnert an „Guldara“ (persisch für Blumental) und an Gandhara, die buddhistisch geprägte Periode in Afghanistan, Pakistan und Indien. Es kombiniert so ein persisch klingendes Wort mit meinem Namen.
Wir wollten eine positive Nachricht aus Afghanistan hinaus in die Welt schicken und zeigen, dass schöne qualitativ gute Lederprodukte aus Afghanistan kommen können.

Es war klar, dass wir kein weiteres Entwicklungsprojekt im Bereich nachhaltiger Wirtschafts-entwicklung“ starten wollten, das auslaufen würde, sobald die externe Finan zierung zu Ende ginge und wir das Land verließen. Wir wollten etwas Nachhaltiges schaffen, das sich schon bald selbst finanzieren würde und in dem die Afghanen einen großen Teil der Verantwortung selber tragen würden. Somit konzipierten wir das Unternehmen von Anfang an so, dass es profit orientiert sein sollte, da dies Anreize auf afghanischer wie auf unserer Seite schaffen würde.
Herr Yaqub wusste zunächst nicht wie ihm geschah. Wir wollten ihm nicht so viel von unserem Vorhaben verraten, da wir keine falschen Hoffnungen schüren wollten. Herr Yaqub dachte sicherlich, wir seien wieder mal so abgedrehte Europäer mit einer unrealistischen Geschäftsidee als wir in seinen Laden traten und unser Vorhaben vorsichtig erläuterten. Am Tag zuvor hatte er einen furchtbaren Schicksalsschlag erlitten: Seine älteste Tochter war nach kurzer Krankheit verstorben.
Nun standen wir im Laden und hatten zumindest finanziell eine Idee, wie wir der Familie Yaqub mit ihren sechs verbleibenden Kindern wieder auf die Beine helfen konnten.
Wir wollten so den Leuten vor Ort eine berufliche Perspektive bieten. Aus unserer Sicht ist dies der wichtigste Beitrag zum heutigen Wiederaufbau-Prozess in Afghanistan. Wir erkannten schon bald, dass die Afghanen sehr gute Händler sind und dass man gerade hier ansetzen müsste.

Verständnis von Nachhaltigkeit

Wir wollten ein soziales Unternehmen schaffen, dass wahrhaftig nachhaltig sein würde. Zunächst sollte Herr Yaqub durch uns seinen Umsatz steigern, aber auch die Qualität der Produkte sollte nachhaltig verbessert werden. Er musste sehr bald Eigenverantwortung übernehmen und lernen unsere Qualitätsansprüche zu akzeptieren und mit seinen Gehilfen bei der Verarbeitung von Materialien, Garnen, Verschlüssen und Futterstoffen umzusetzen.
Heute gehen im Schnitt 30% des Verkaufspreises der Ledertaschen zurück an den Produzenten nach Kabul. Durch Gundara haben ca. 10 afghanische Familien ein regelmäßiges Einkommen. Mit wenigen Ausnahmen bezieht Gundara seine Produkte direkt von den afghanischen Produzenten in Kabul. So geht nichts durch Zwischenhändler verloren. Außerdem verwenden wir vorwiegend Ziegenleder, die in Nordafghanistan hergestellt werden. Das Material kommt aus Afghanistan und die Wertschöpfung findet gleichermaßen dort statt.
Wir sind jetzt nur noch kurzfristig in Kabul und müssen uns ganz auf Herrn Jaqub verlassen. Er trägt somit die Gesamtverantwortung für die Herstellung und teilweise für den Versand.

Status Quo: Kulturelle Berg- und Talbahn

Natürlich war es nicht immer einfach. Zu Beginn haben wir die Taschen erst bei Herrn Yaqub bestellt, wenn uns in Berlin Bestellungen vorlagen. Wir hatten kein Lager. Dadurch hat die Lieferung manchmal sehr lange gedauert. Einmal wurde der Laden von Herrn Jaqub bei einem Selbstmordattentat gegenüber von der indischen Botschaft in Kabul in Mitleidenschaft gezogen und dadurch verzögerte sich unsere Lieferung um mehrere Monate, wofür nicht alle Kunden Verständnis hatten.
Zum Glück haben Jean und ich bereits einige Jahre in Afghanistan gearbeitet und sind mit der Kultur vertraut. Ein sehr wichtiger Türöffner war auch, dass wir beide Dari sprechen und direkt mit Herrn Yaqub und seinen Kollegen kommunizieren können.
Es ist uns gelungen, die Qualität der Ledertaschen ganz wesentlich zu steigern. Dennoch besteht hier immer noch Verbesserungsspielraum. Sowohl das Leder als auch Verarbeitungszubehör sind nicht immer in gleicher Qualität zu haben.
Auch die Kommunikation über die Distanz musste sich erst einspielen. Wir emailen die Bestellungen in der Regel auf Englisch an den Neffen von Herrn Yaqub und besprechen diese dann telefonisch auf Dari mit Herrn Yaqub nach. Der Lernprozess auf beiden Seiten läuft weiter und wir sind damit beschäftigt, Herrn Yaqub und seinen Kollegen klar zu machen, wie wichtig eine gleich bleibende Qualität für uns ist.
Im ersten Jahr haben wir ca. 400 Taschen verkauft. Der Verkauf läuft vor allem über den Online-Shop. Die Website wurde von Jean gestaltet und immer weiter optimiert.
Darüber hinaus verkaufen wir an ein Geschäft in Berlin-Mitte und veranstalten regelmäßig offene Häuser, zu denen wir interessierte Kunden zu uns nach Hause einladen. Die Taschen wurden mit der afghanischen Post, DHL und heute Bakhtyar von Kabul nach Berlin oder direkt an Kunden im Ausland versandt. Hierbei gab es immer mal wieder Schwierigkeiten, die wir ad hoc lösen mussten.
Als Jean und Herr Yaqub einmal eine Taschenlieferung zur afghanischen Post brachten, wurde ihnen gesagt, dass alle Taschennähte aufgemacht werden müssten, um die Taschen
nach Drogen zu durchsuchen. Den beiden wurde bald klar, dass hier ein „Bakschisch“ gefordert wurde und wir verstanden, dass wir die Versandfirma wechseln mussten.
Gundara hat im ersten Jahr bereits nach Dänemark, die USA, Mazedonien, Luxemburg, Schweden, Frankreich, Österreich und in die Schweiz geliefert. Unsere Kundschaft ist eine Mischung aus Menschen, denen einfach die Taschen gefallen, anderen die das Konzept gut finden und wieder anderen die einen besonderen Bezug zu der Region haben.

Das Gundara-Produkt und der Beitrag zur Nachhaltigkeit

Das Hauptprodukt von Gundara sind Ledertaschen aus Ziegenleder. Im ersten Jahr konnten bereits 80 verschiedene Taschenmodelle entwickelt werden. Gundara möchte das fazettenreiche kulturelle afghanische Erbe bestehend aus paschtunischen, tadschikischen, kirgisischen, Hasara etc. Einflüssen bewahren, bzw. in moderner Form neu aufleben lassen. Gundara verwendet feine handgemachte Stickereien und bunte traditionelle Chopan-Stoffe in Kombination mit qualitativ hochwertigen naturfarbenen Ziegenledern, um diese schönen Taschen zu fertigen.
Die Aufgabenverteilung ist so festgelegt: Herr Jaqub ist für Beschaffung der Materialien und Herstellung der Taschen und den Versand nach Deutschland zuständig. Den Versand in
Deutschland und weltweit erledigen wir in Berlin. Wir sind für die Website, die Bestellungen, die Rechungserstellung und die Buchführung mit den steuerlichen Fragen verantwortlich. Auch die wenigen Reklamationen laufen über uns.

Ausblick

Ziel ist es das Konzept von Gundara und die schönen Ledertaschen in Europa und auch Afghanistan noch besser zu vermarkten und den Umsatz weiter zu steigern. Auch wird die Produktpalette immer weiter ausgebaut und Gundara hat nun auch sehr schöne Filzprodukte und hochwertige afghanische Susanni-Teppiche im Angebot. Uns wurde bald klar, dass die Produktionskapazität unseres einzigen Produzenten begrenzt ist. Wir sind deshalb auf der Suche nach neuen Produzenten in Afghanistan.
Gundara ist sehr daran interessiert in der Nachhaltigkeits Community weitere Kontakte zu knüpfen, um sich gegenseitig zu inspirieren und zu unterstützen.
Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten unser Projekt europaweit bekannt zu machen, folgende Beispiele (Lilly Green, die Berliner Zeitung, RBB Radio, Hauptstadtblog, DB Mobil, 3plusx, der TIP und) waren hierbei sehr hilfreich.
Hätte man uns vor einem Jahr danach gefragt, was unsere Vision sei und wo wir in einem Jahr stehen würden, hätten wir sicher nicht gedacht, dass wir bereits jetzt so weit gekommen sein würden.

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