Grüße aus Kabul | Live Region | 03.2011
„Als Jean und ich im Frühjahr 2006 auf die kleine Manufaktur von Herrn Yaqub im Zentrum Kabuls stießen, war dort nicht viel los. Herr Yaqub dachte sicherlich, wir seien wieder mal so abgedrehte Europäer mit einer unrealistischen Geschäftsidee, als wir in seinen Laden traten und unser Vorhaben vorsichtig erläuterten.“ So könnte auch ein Roman anfangen. Und tatsächlich beschreiben diese Sätze den Einstieg in eine ungewöhnliche, aber reale Geschichte. Nämlich die einer deutsch-französisch-afghanischen Zusammenarbeit, deren Geschäftserfolg darauf basiert, nachhaltig und zu fairen Bedin gungen handgefertigte Ledertaschen für den europäischen Markt zu produzierten.
Die Idee dazu kam Dr. Gunda Wiegmann und Jean Amat Amoros während ihrer Arbeit für verschiedene Hilfsorganisationen in Afghanistan. Die Politologin, die in Northeim geboren wurde und bis zum Abitur dort lebte, und ihr französischer Partner starteten zunächst bescheiden, indem sie bei eben jenem Herrn Jaqub im Zentrum Kabuls erste Taschenkreationen für den Eigenbedarf fertigen ließen – sorgfältig gearbeitet aus dem Leder nordafghanischer Ziegen und Schafe. Drei Jahre und zahlreiche Optimierungsprozesse später gründeten sie in Berlin ihre Firma „Gundara“ und begannen, die bereits bestehenden Kreationen im eigenen Gundara-Online-Shop unter https://gundara.com zu vermarkten. Die Taschen, ebenso modisch wie funktionell, sollten afghanisches Handwerk mit europäischem Design vereinen. Und die Idee kam an – ebenso wie der Look. Bereits im ersten Jahr konnten 80 Modelle entwickelt und 400 Taschen verkauft werden: nach Deutschland, Dänemark, den USA, Mazedonien, Luxemburg, Schweden, Frankreich, Österreich und in die Schweiz.
Schön, aber bitte nachhaltig
„Wir haben uns schon immer für Kreatives interessiert und wollten gerne aus eigener Kraft etwas auf die Beine stellen,“ sagt die 32-Jährige. „Mit den Taschenkreationen können wir zeigen, dass trotz der Kriegszerstörungen aus Afghanistan auch etwas Schönes, handwerklich Hochwertiges kommen kann.“
Dabei verklärt sich aber nicht der Blick für die wesentlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen, nachhaltigen Geschäftsentwicklung. Gunda Wiegmann: „Das Unternehmen ist von Beginn an so konzipiert worden, dass es profit-orientiert arbeitet – weil dies Anreize gleichermaßen auf afghanischer wie auf unserer Seite schafft. Bei uns gehen ca. 30–40% des Verkaufspreises der Ledertaschen zurück an den Produzenten nach Kabul.“ Dort leben mittlerweile 10 Großfamilien von der Arbeit in der Manufaktur.
Die Verantwortung für die Produktion liegt heute weitestgehend in Afghanistan. Gundara konzentriert sich in Berlin auf die Weiterentwicklung der Modellpalette und deren Vermarktung. Neue Taschenformen werden nicht selten in englisch per E-Mail in Kabul angekündigt und beschrieben, die mündliche Feinabstimmung erfolgt dann in der Landessprache. Die beherrschen Gunda Wiegmann und Jean Amat Amoros noch aus ihrer Zeit als Entwicklungshelfer – was ihnen heute für ihr eigenes Entwicklungshilfeprojekt von unschätzbarem Nutzen ist.
Detlef Rusch