Was braucht Afghanistan? Ansätze für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
Wenn Gunda an Afghanistan zurückdenkt, dann denkt sie vor allem an das gute Wetter, an den vielen Sonnenschein und dass man selbst im Winter oft in der Sonne im Hof sitzen und dort Tee trinken konnte.
In Kabul war der Winter und der Frühling immer die schönste Zeit. Die Schnee bedeckten Berge umringen dann Kabul und angestrahlt von der Sonne entfalten sie ihren vollen Glanz. Für Gunda haben ihre Jahre in Kabul auch sonst viel Gutes mit sich gebracht. Sie hat dort ihren Partner Jean kennengelernt und viele andere internationale Freunde, mit denen sie immer noch in Kontakt ist. Gunda hat von 2005 bis 2009 zweieinhalb Jahre für verschiedene Hilfsorganisationen in Kabul gearbeitet. Sie hat viele Diskussionen darüber, was Afghanistan eigentlich brauchen würde, miterlebt.
Gunda hat sich selbst oft die Frage gestellt, ob nun in Afghanistan Krieg herrsche oder nicht. Besonders an Freitagen, wenn sie es dann mal zum Einkauf auf den großen Basaar in Kabul geschafft hat, dann hat sie oft gedacht: “Aber so sieht doch kein Krieg aus.” Wenn es jedoch dann mal wieder in einem Teil der Stadt zu einem Anschalg kam, man den großen Knall gehört hat und die Detonation gespürt hat. Dann wurde der Konflikt wieder allgegenwärtig. Als dann im November 2008 ein Bekannter von ihr in Kabul von seinem eigenen Guard erschossen wurde und ein anderer Freund einer Entführung nur entkommen konnte, weil er so schnell laufen und sich verstecken konnte, da schien auch die persönliche Bedrohung ganz nah zu kommen. Und immer wieder stellte sich die Frage, was braucht das Land? Ist es Bildung, ist es Unterstützung in der Landwirtschaft, Sicherheit durch mehr Militär etc.?
Oder sollte man davon ausgehen, was die Afghanen gut können und dies unterstützen? Was können die Afghanen gut? Gunda machte die Erfahrung, dass die Afghanen gut Handel treiben konnten. Im Pamir in Ost-Tadschikistan hatte ihr jemand gesagt, dass die Afghanen, selbst wenn Krieg herrscht, kurz die Waffen niederlegen, um eine Karwane passieren zu lassen und die Waffen erst wieder aufnehmen, wenn die Karawane unbeschadet vorbeigezogen ist. Handel geht vor Krieg. Aber dieser Gedanke schwirrte nicht durch Gundas Kopf als sie im Frühjahr 2007 das erste Mal die kleine Leder-Manufaktur von Herrn Yaqub betrat. Gunda war mal wieder auf einem ihrer wochenendlichen Erkundigungsspaziergänge durch Kabul gewesen, als sie diese kleine Leder-Manufaktur entdeckte. Die Manufaktur war kein Ledertaschen-Geschäft, man konnte sich nicht einfach eine Tasche aussuchen, sondern konnte sich die Tasche bestellen, die man brauchte. So kam Gunda mit Herrn Yaqub ins Gespräch und hatte die Idee, in ihrer Freizeit kleine Entwürfe für Ledertaschen zu zeichnen und diese dann bei Herrn Yaqub fertigen zu lassen. So ging das über zwei Jahre. Gunda brachte viele Freunde mit in das Geschäft und bestellte schöne Ledertaschen, Erinnerunsgstücke an die Zeit in Kabul. Ihr Freund Jean beobachtete sie lange bei diesem Hobby und hatte schliesslich die Idee aus Fotos der gefertigten Ledertaschen-Modelle einen Bestellkatalog zu machen und die Ledertaschen, in Kabul und auch zuhause in Deutschland, zu vermarkten. Diese Idee wurde dann weiter gesponnen und Jean hatte die Idee einen Online-Shop zur weltweiten Vermarktung der Ledertaschen aufzubauen (https://www.gundara.com/de). Mittlerweile haben Jean und Gunda mehr als 1300 asfghanische Artikel (vor allem Ledertaschen von Herrn Yaqub) auf diesem Wege nach Deutschland und die ganze Welt verkauft. Herr Yaqub erzählte, dass er zu Sowjetzeiten bereits ganze Container mit Ledertaschen in die Sowjetunion sandte. Als dann die Taliban einrückten, floh er mit seiner Familie nach Pakistan. Erst nach dem Fall der Taliban 2001 kehrte er mit seiner Familie zurück nach Kabul und baute die kleine Leder-Manufaktur, in der vier Leute arbeiten, wieder auf. Die Arbeit war nicht einfach, da sein Geschäft im Sommer 2008 und im Herbst 2009 durch Selbstmordattentate vor der indischen Botschaft in Kabul zerstört wurde. Die Werkstatt ist jedoch schon längst wieder aufgebaut und die Arbeit geht weiter. Der Tag, an dem Gunda ist das Geschäft von Herrn Yaqub trat und ihm von ihrer kleinen Geschäftsidee, der internationalen Vermarktung seiner Ledertaschen, erzählte, war für Herrn Yaqub ein sehr trauriger Tag, da tags zuvor seine älteste Tochter an einer Krankheit gestorben war.
Herrn Yaqub wurde klar, dass es trotz großer Schicksalsschläge weitergehen musste.
Eine kleine Ledermanufaktur wird Afghanistan als Ganzes nicht retten. Es schafft jedoch einige Arbeitsplätze und Einkommen. Und es stärkt das lokale Bewusstsein dafür, dass lokal hergestellte Produkte wie z.B. Leder-Produkte schön sein können und eine gute Qualität haben können und dafür wertgeschätzt werden. Es ist ein wichtiger Ansatz, wenn auch in einem kleinen Rahmen. Wenn viele Leute, viele kleine Schritte tun, wird sich so auch das Gesicht Afghanistans weiter zum Positiven verändern.